Reportage

«Bäcker – ein Beruf mit Zukunft?» 

Brezeln essen Menschen immer Ein Arbeitstag im Leben des Bäckerlehrlings Lukas Reiser

 

Der Himmel spannt sich rabenschwarz über die Stadt. Die nächtliche Schaufensterbeleuchtung taucht die Strassen in schummrig weisses Licht und die schiefen Altbauten Esslingens werfen ihre Schatten auf das Pflaster. Die Stadt liegt still und verlassen. Nur die Fenster der Bäckerei Kamps strahlen in gelbweissem Licht. In der Backstube hinter dem Verkaufsraum mit den spiegelnden Scheiben mischt, formt und backt Lukas Reiser, Bäckerlehrling im letzten Jahr seiner dreijährigen Ausbildungszeit.

Es ist Donnerstagmorgen, 4:15 Uhr. Die meisten Menschen in den Häusern ringsum haben noch einige Stunden Schlaf vor sich. Nur hier und da brennt bereits Licht. Lukas steht schon seit einer Viertelstunde in der Backstube. Der Siebzehnjährige mit den kurzen dunklen Haaren, die unter der kleinen weissen Haube versteckt sind, hat im September das letzte Lehrjahr seiner Ausbildung zum Bäcker begonnen. «Abends lang weggehen ist leider nicht drin. Ein paar Mal bin ich bis drei in der Disko geblieben und anschliessend gleich in die Backstube. Das war nichts», gesteht der 17-Jährige. «An das frühe Aufstehen hab ich mich mittlerweile gewöhnt», meint Lukas, während er aus dem weissen Teig vor ihm eine Brezel formt. «Dafür hab ich den ganzen Nachmittag frei.» Als Bäckerlehrling muss Lukas auch samstags arbeiten. Dafür bekommt er einen anderen Tag in der Woche frei. Der Beruf erfordert einiges an Kraft. Heutzutage übernehmen zwar Maschinen viele Aufgaben, wie das Kneten von Teig, trotzdem muss ein Bäcker noch selbst Mehlsäcke tragen oder beladene Bleche aus dem Ofen heben. Deshalb sind noch immer dreiviertel aller Auszubildenden zum Bäcker Männer.

Im hinteren Teil des Raumes schiebt ein stämmiger blonder junger Mann ein Blech mit Brötchen in den grossen Industrieofen. Es ist Martin, Lukas zwanzigjähriger Kollege, der in der Bäckerei schon seinen Gesellenbrief gemacht hat. Martin ist bereits seit drei Uhr auf den Beinen. Lukas hat Glück, mit 17 fällt er noch unter das Jugendschutzgesetz und darf erst ab vier Uhr arbeiten. In der Backstube ist es warm. Der Raum hat keine Fenster. Kunstlicht taucht ihn in weissgelben Schimmer. Es duftet nach frischen Brötchen. Vorn im Verkaufsraum hört man Lukas Chef, Mehmet Gürel, werkeln. Die zwei Bäckereifachverkäuferinnen kommen erst gegen 5:30 Uhr, eine halbe Stunde vor Ladenöffnung.

«Warum ich Bäcker werden wollte? Wir sind in der Fünften mit unserer Lehrerin auf einen Schnuppertag in eine Bäckerei gegangen. Wir durften alles ausprobieren und am Schluss hat jeder ein eignes kleines Gepäck hergestellt. Das fand ich super. Seitdem wollte ich Bäcker werden.» Nach seinem Hauptschulabschluss hat sich Lukas bei der Bäckerei Kamps Gürel in Esslingen beworben. Er wollte nicht im Büro arbeiten, wo man die ganze Zeit sitzt. Dass man als Bäcker nur steht, stört ihn nicht. «Hier sieht man wenigstens am Ende des Tages, was man gemacht hat.» Neben körperlicher Fitness muss ein Bäckerlehrling jedoch auch fit im Kopf sein. Das berechnen von Mengen gehört ebenso zu seinen Aufgaben wie die Berechnung der richtigen Backzeit. Auch Kreativität ist gefragt bei der Gestaltung von Teigwaren oder dem Ausprobieren neuer Rezepte.

Das Backblech ist voll mit weissen Brezeln. Lukas nimmt die Gummihandschuhe, die auf dem langen Holztisch neben dem Blech liegen, und zieht sie über. Der Gummi macht ein quietschendes Geräusch. Lukas lacht. Martin macht eine anzügliche Bemerkung. «Die Handschuhe brauche ich, weil die Lauge für die Brezeln stark ätzend ist. Aber keine Angst, durch das Backen verdampft die Natronlauge und man kann die Brezel ohne Bedenken essen.» Die von Lukas, Martin und ihrem Chef Gürel hergestellten Teig- und Backwaren werden montags bis samstags von 6 bis 20 Uhr, am Sonntag von 8 bis 16 Uhr vorn im Laden verkauft. Der Verkauf ist Sache der beiden Bäckereifachverkäuferinnen Aysel und Camilla. «Wir sind so gut wie nie vorne. Nur wenn wirklich Not am Mann ist stehen wir mal hinter der Theke», sagt Lukas. «Das gehört eigentlich auch nicht zu unserem Beruf. Wir zwei sind hier hinten, die zwei Mädels da vorne, Herr Gürel ist überall.» Das fünfköpfige Team um den Chef Gürel versteht sich gut. Er hat die Bäckerei als ein Franchisingunternehmen von Kamps vor einigen Jahren in Esslingen eröffnet.
  
Lukas schwärmt: «Herr Gürel ist echt locker drauf. Mit ihm kann man Spass haben, aber er schaut schon darauf, dass wir was schaffen.» Zwei dunkle Augen versteckt unter einer weissen Haube schauen durch die Tür in die Backstube. «Wird hier über mich geredet?» Gürel in Jeans und weissem Poloshirt mit Kamps Emblem, roter Schriftzug mit gelber Brezel, kommt herein. Um die Hüfte hat er eine rote Schürze geschlungen. «Ihr sollt arbeiten und nicht schwätzen», sagt er im Scherz mit seiner tiefen Chef-Stimme.

Die Sonne steht hoch über der Stadt. Sie taucht die Strassen jetzt in helles Licht. Der Himmel ist strahlend blau. Durch die Strassen der Stadt bummeln die Menschen und halten nach Schnäppchen Ausschau. Über das Kopfsteinpflaster rollt ein leerer Kaffeebecher von Starbucks gegenüber, der aus einer überfüllten Mülltonne gefallen ist. Es ist zwölf Uhr mittags. Zeit für Lukas Feierabend zu machen. «Brezeln essen die Menschen immer» antwortet er auf die Frage, wie er seine Zukunftschancen einschätzt. Dann tritt er aus dem gelben Kunstlicht hinaus auf die sonnige Strasse.